Peter Neururer – 01.09.2024

„Schalke ist kein normaler Fußballverein.“

Ausverkauftes Haus in der zweiten Liga? Das kennt Peter Neururer (69) noch von seiner Trainerstation auf Schalke. Vor 35 Jahren bewahrte er Schalke vor dem Absturz in die Amateurliga. Im Interview mit Katharina Strohmeyer vom Schalker Echo spricht er über arbeitslose Fußballer, Autofahrten mit Blaulicht und die Lehren aus einem Herzinfarkt.

________________________

Herr Neururer, Sie kommen ja aus Marl. Wie groß war denn in Ihrer Kindheit schon die Schalke-Affinität?

(Lacht) Gar nicht so groß. Obwohl einmal als Schülerspieler wollte ich zu Schalke wechseln. Oskar Siebert war damals noch unterwegs und hat die Spieler sich einzeln zusammengesucht. Aber meine Eltern haben das untersagt: Erstmal Schule machen, Abitur machen und so weiter. Also war nix mit Wechseln. Also hab ich, obwohl ich aus der Gegend komme, mit Schalke 04 damals nicht so viel zu tun gehabt. Was es heißt, Schalke zu lieben, habe ich erst gelernt, als ich dann später Trainer wurde. In meiner Jugend war ich Fan des 1. FC Köln.

Wieso denn das?

Durch Zufall. Mein Vater hat mich als Kind mitgenommen zu einem Oberligaspiel. Da spielte Hamborn 07 gegen den 1. FC Köln. Und ich als kleiner Junge, grade 6 Jahre alt, war total begeistert von den ganz in Weiß auftretenden Kölnern. Damals war es noch so, dass nur Real Madrid und der FC Santos sich gewagt haben, in Weiß zu spielen – und die erste Mannschaft in Deutschland war eben der 1. FC Köln. Ich war davon so begeistert, dass ich Fan geblieben bin. Ich hab dann auch später in Köln gewohnt und studiert und so weiter. Bis ich dann irgendwann in Köln Trainer wurde. Wenn man im Profibereich unterwegs ist, dann ist das mit dem Fan-Dasein sowieso vorbei. Sonst musst Du Dich ja permanent belügen und andauernd gegen Deine eigenen Gefühle spielen.

Mal in der Glückauf-Kampfbahn gewesen?

Ja sicher. Das war überragend – ne Stimmung, die war sensationell, der Fußballursprung schlechthin! Ich hab aber, wenn ich „mit Köln“ da hingefahren bin, irgendwie immer verloren. Grauenhafte Pokalniederlagen gehabt und auch in der Bundesliga öfter verloren. Also da war nicht viel zu holen.

Das hat sich dann ja in den 80ern geändert. Als Sie Trainer auf Schalke wurden, sah es ja eher düster aus…

Und wie! Ich hab Schalke 04 ja übernommen in akutester Abstiegsgefahr. Sie wären in die Oberliga Westfalen abgestiegen und da hätte Schalke 04 nicht mehr stattgefunden. Aber dann durfte ich miterleben, wie man durch unglaublichen Enthusiasmus und Zusammenhalt dann plötzlich Ziele erreicht, das war grandios.

Ziele heißt: Klassenerhalt.

Ja. wie durch ein Wunder! Das war einfach nur großartig, wie die Fangemeinschaft wirklich so ne Einheit gebildet hat mit der Mannschaft. 70.000 Zuschauer waren beim entscheidenden Spiel gegen Blau-Weiß 90 Berlin da. Einfach überragend! Aber auch wie der Verein sich dann weiter entwickelt hat. Wir hatten zu der Zeit einen Zuschauerschnitt von 50.000. Deutlich mehr als fast alle Erstligisten.

Das war doch die Phase, als die „Sansibar“ auf Sylt zum Schalker Vereinslokal gekürt wurde…

(Lacht) Zu der Zeit war ich Trainer, ganz genau. Das war ne Wahnsinns-Aktion! Wir waren im Trainingslager in Timmendorfer Strand und ich hatte vorher die Order rausgegeben, dass Trainingsspiele nur im näheren Umkreis stattfinden dürfen, also wo man in 30 Minuten hinkommt. Ich meinte eigentlich Fahrzeit. Ich hab ja nicht damit gerechnet, dass Günter Eichberg da zwei Privatflieger auffährt, um uns nach Sylt zu fliegen! Da haben wir dann auch die Sansibar zum ersten Vereinslokal außerhalb Gelsenkirchens gemacht. Der Laden war damals noch ziemlich unbekannt, aber der Wirt, Herbert Seckler, ein Riesen-Typ mit blau-weißem Herz. Was für ne Feier! Am nächsten Morgen ging´s uns nicht ganz so gut. Aber wir waren ja erfolgreich.

Allerdings. Nach dem Klassenerhalt kam ein überraschender fünfter Platz und danach sollte es wieder in die erste Liga gehen.

Ja, im dritten Jahr durfte ich mir endlich eine Mannschaft zusammenstellen. Es lief super, wir standen auf dem zweiten Tabellenplatz und plötzlich wurde ich beurlaubt – das große Ziel vor den Augen, endlich aufsteigen zu können. Das war natürlich ein Schlag ins Gesicht und für mich damals die härteste Phase in meiner noch jungen Trainerkarriere. Aber es war natürlich schon auch das, war mir dann Möglichkeiten eröffnet hat, woanders hinzugehen, also ein Sprungbrett. Nur damals hätte ich natürlich am liebsten weiter gemacht. Ich bin dann sofort Vereinsmitglied geworden.

Was war denn an Schalke so besonders?

Alles! Alles! Ich habe ja insgesamt bei 14 unterschiedlichsten Vereinen gearbeitet, teilweise sogar zweimal. Aber bei Schalke habe ich, sowohl im Bereich der positiven als auch der negativen Emotionen, in der Zeit wirklich alles erlebt. Und ich habe noch nie vorher und auch nachher nicht erlebt, dass auch in der kritischsten Phase man wirklich gespürt hat, dass Schalke 04 eben kein normaler Fußballverein ist, sondern… ja, eine Gemeinschaft.

Seit einigen Jahren arbeiten Sie ja nicht mehr als Vereinstrainer, aber in der Sommerpause machen Sie vertragslose Fußballer wieder fit für den Profifußball. Wie läuft das ab?

Das ist ein klassisches Trainingslager zur Saisonvorbereitung. Die Spieler sind einen Monat lang in der Sportschule Wedau untergebracht. Am Anfang gibt´s immer nen Medizincheck (im Medicos) und dann wird zwei mal am Tag trainiert. Oder es ist einmal Training und ein Testspiel, genau wie bei den Bundesligisten. Da sitzen natürlich dann auch Scouts im Publikum. Das ist dann für die Spieler die Gelegenheit, sich zu präsentieren. Und die Erfolgsquote ist super. Am Ende haben über 80 Prozent der Teilnehmer wieder einen Verein. Die sind aber auch alle top motiviert und wollen wieder ran an den Ball und rein ins Geschäft.

Wie wird man eigentlich als Fußballer arbeitslos?

Verträge laufen aus, oft nach schwerer Verletzung. Vereine werden Insolvent. Manchmal stimmen auch die Leistungen nicht oder Du passt plötzlich nicht mehr in ein Konzept. Das ist sehr unterschiedlich.

Das Trainingslager wird ja angeboten von der Spielergewerkschaft VDV (Vereinigung der Vertragsfußballer). Sind viele Profifußballer Mitglieder in der Gewerkschaft?

Ja, tatsächlich die meisten. Das ist auch ne gute Sache. Die Spieler werden da in rechtlichen Fragen beraten und auch sonst gibt es Unterstützung. Wenn es zum Beispiel nicht mehr für die Profibereich reicht, wird ein Amateurverein gefunden oder geholfen, dass die Jungs einen Plan B oder Plan C haben. Ist ja nicht jeder Fußballer, der mal irgendwo unter Vertrag stand, wieder in der Lage in die 1. oder 2. Bundesliga oder irgendwohin zu wechseln.

Wahrscheinlich haben viele keinen Plan B, oder?

Das ist leider so. Das Problem liegt aber nicht nur daran, dass die keinen Plan B haben. Viele, je jünger sie sind umso mehr, verlassen sich auch auf Spielervermittler, die mehr Scharlatane als alles andere sind. Und dann will man natürlich genau so sein, wie die ganz großen. Und nicht jeder Fußballer in der zweiten Liga ist ein mehrfacher Millionär. Das ist ein Hirngespinst. Natürlich gibt´s das, aber die meisten Spieler kommen nicht mit dem, was sie verdient haben, ein Leben lang klar.

Wobei, so ein Erstliga-Stammspieler sollte eigentlich klarkommen.

Wenn er gut beraten ist, schon. Aber es gibt viele problematische Fälle, schwere Schicksale, über die wir natürlich wieder nicht sprechen. Weil „da guckt man ja nicht hin“. Spieler, die nach der Karriere in Hartz IV rutschen zum Beispiel. Diejenigen, die so runterplumpsen versuchen das natürlich auch oft zu vertuschen. Die fahren weiter ihren geleasten Ferrari. Und dann ist das Geld natürlich schnell weg.

Kommen Spieler mit solchen Problemen auch mal zum Trainer?

Da musst Du natürlich schon ein gutes Verhältnis haben, sonst öffnet sich ja keiner. Aber das kann durchaus vorkommen, ja. Meistens dann, wenn gar nichts mehr geht. Als Trainer bist Du dann schon auch „beratungstechnisch“ unterwegs. Meine Frau und ich haben schon mehrfach Spielern Hilfe angeboten, die dann auch angenommen wurde. Nur, dieses Menschliche, diese Zusammengehörigkeit und dieses Gefühl, gemeinsame Ziele zu erreichen, also das was verbindet – das ist mittlerweile ein bisschen weniger geworden.

Hand auf’s Herz! Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie gerne würden Sie nochmal Schalke trainieren?

Ich trainiere keine Vereine mehr. Nach meiner letzten Bochum-Station habe ich gesagt „auf Wiedersehen, das hat gereicht.“ Aber mit Zufriedenheit. Das war eine tolle Zeit, nur irgendwann muss mal gut sein.

Es gibt ja immer diese Internet-Memes: Es wird ein „Feuerwehrmann“ gesucht, Peter Neururer kommt mit dem Sportwagen vorgefahren…

Den Wagen fahr ich schon so lange nicht mehr, das ist wirklich unglaublich. Das Foto ist tatsächlich mal bei einer Vertragsverhandlung entstanden. Seitdem habe ich schon mehrfach die Automarke gewechselt, aber irgendein Vollesel kramt das immer wieder raus.

Um schneller vorzufahren, hat man dann auch schonmal ein Blaulicht dabei…

(Lacht) Ja, jetzt zum Beispiel stehe ich im Stau. Blaulicht oben drauf und es teilen sich des Meeres Fluten. Und als Pünktlichkeitsfanatiker im Ruhrgebiet… Nein Quatsch, tatsächlich war das so, dass ich mal bedroht worden bin – und zu der Zeit gab es dann ein Blaulicht und da war die Verlockung halt groß, das einfach mal zu benutzen. Aber damit habe ich inzwischen aufgehört.

Wie man halt mit dem Rauchen aufhört.

Genau. Das habe ich ja auch geschafft: Seit meinem Herzinfarkt vor 12 Jahren bin ich standhaft. Bis zu meinem 80. Geburtstag will ich auf jeden Fall durchhalten. Dann lasse ich mir von meiner Frau eine Stange Marlboro schenken.

Herr Neururer, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schlager oder Rock’n’Roll?

Ganz klar Rock’n’Roll. Geht los mit Deep Purple, über Dire Straits, über Jethro Tull bis hin zu BAP. Also Querbeet alles, was mit Rock zu tun hat. Teile von AC/DC hört man zum Beispiel, wenn man mich anruft.

Harley oder Porsche?

Harley! Wir sind ja Rekordhalter. Ehemalige Mitarbeiter und mittlerweile auch Freunde von mir vom VfL Bochum, wir haben es geschafft – als wohl erste Gruppe – alle 50 Bundesstaaten der USA mit der Harley zu durchqueren. In diesem Jahr haben wir mit Hawaii und Alaska die letzten beiden Staaten durchfahren.

Pils oder Kölsch?

Wenn ich mich zwischen den beiden entscheiden muss, dann Pils. Normalerweise würde ich aber eine Weinschorle nehmen.

Tiger Woods oder Bernhard Langer?
Bernhard Langer. Weil er in dieser Sportart der einzige Superstar ist, der sich seit seinem 18. Geburtstag in der absoluten Weltklasse bewegt. Bewundernswert! Mein eigenes Handycap ist allerdings grauenvoll: 18,4. Das war mal besser, was aber erfordert, dass man sehr oft auf dem Platz steht und übt. Man sagt ja auch, dass das Handycap mit der Anzahl der Wochenarbeitsstunden korreliert.

Schalker Echo – 1. FC Köln – 1. September 2024

Dein Einkaufswagen
0
Gutscheincode eingeben
Gesamt

 
Nach oben scrollen